Ist die CDU an der deutschen Misere schuld?
Explodierende Energiepreise, einseitige Berichte im öffentlichen Rundfunk, Steuer- und Bürokratie-Dschungel, einseitige Abhängigkeit von China, marode Bundeswehr, Migration... – immer wieder muss sich die Union in den Debatten den Vorwurf gefallen lassen, nach 16 Jahren Kanzlerschaft von Angela Merkel (CDU) mitverantwortlich zu sein für die marode Lage in Deutschland.
Doch wie viel Schuld trägt die Union wirklich?
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und der russische Präsident Wladimir Putin zu Beginn ihres Treffens im Kreml.
Fakt ist: Für die deutsche Abhängigkeit von russischem Gas und Öl, ist die Union, vor allem in Gestalt der Kanzlerin, verantwortlich, die die Energiepolitik immer wieder zur Chefsache gemacht hat. Dass sie dabei auch dem Druck der Wirtschaft nach billiger Energie nachgab, stimmt, macht es aber nicht besser.
In der Union vertrat unter anderem auch Ex-Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) die Ansicht, dass Souveränität ohnehin Augenwischerei sei, weil die Welt arbeitsteilig zusammenrücke und Deutschland im europäischen Energieverbund integriert sei.
Peter Altmeier (CDU), Bundeswirtschaftsminister, steht bei der Vorstellung einer neuen Tesla-Ladestation der neuesten Generation auf dem Gelände vom Euref-Campus Berlin.
Wahr ist auch, dass die Union in allen Rundfunkräten vertreten war und ist und sich heute über einseitige Berichterstattung und Schlendrian im ÖRR, nicht selten zu ihren Lasten, beschwert. Die große Steuerreform, die Angela Merkel noch 2003 auf dem Leipziger Parteitag mit beschloss, hat sie nie in Angriff genommen, auch nicht, als die Union 2009 bis 2013 mit der reformwilligen FDP zusammen regierte. Nennenswerter Bürokratieabbau fand ebenfalls nicht statt.
Bei den alljährlichen China-Reisen der Kanzlerin war der Handel auf Augenhöhe (im Polit-Sprech „level playing field“ genannt), der Patent- und Markenklau der Chinesen ebenso immer wieder Thema, wie die Aufforderung, den Weltmarkt nicht mit billigem „Dumping-Stahl“ zu fluten. In Peking wurde stets freundlich gelächelt, geändert wurde nichts. Die deutsche Stahlindustrie liegt heute am Boden, kann sich allenfalls in Kooperation mit Indien über Wasser halten und will mit zehnfach teurerem „grünem Stahl“ und Speziallegierungen punkten.
Die Abhängigkeit von China wuchs in den Jahren der CDU-Kanzlerschaft stetig weiter, und das auch durchaus gewollt und aktiv gefördert von Angela Merkel. Kritiker in den eigenen Reihen wie etwa der Außenpolitiker Norbert Röttgen, konnten sich nicht durchsetzen.
Norbert Röttgen (CDU), Bundestagsabgeordneter, spricht zu Beginn der Sondersitzung des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags zur Entwicklung im Konflikt zwischen der Ukraine und Russland zu den Medienvertretern.
Merkel setzte sich sehr dafür ein, den chinesischen Anbieter Huawei nicht vom Aufbau des deutschen 5G-Netzes auszugrenzen, und eine in Leipzig geplante deutsch-chinesische Handelskonferenz kam lediglich aufgrund der Corona-Restriktionen nicht zustande. Und was die Bundeswehr betrifft, so war das Ressort nach der ersten GroKo durchweg
Kurz: Es ist schwer, nach 16 Jahren eines unionsgeführten Kanzleramts ein Politikfeld auszumachen, bei dem die Union nicht am heutigen Ist-Zustand des Landes zumindest mitverantwortlich wäre. Und sei es, durch Zulassen von Spielräumen für den jeweiligen Koalitionspartner.
Und das ist durchaus kein Zufall. Das Selbstverständnis als pragmatische und machtorientierte Volkspartei hat notgedrungen die eigenen Grundüberzeugungen in den Hintergrund treten lassen. Ganz gleich, ob Wehrpflicht, Kernkraft, Mindestlohn, Frauenquoten, Homo-Ehe und anderes – für die Union, namentlich für die Kanzlerin, war alles verhandelbar.
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Gut, ein Mindestlohn ist ordnungspolitisch für Wirtschaftsliberale Teufelszeug, aber daran werde man ja die Koalition nicht scheitern lassen. Oder um es mit Angela Merkel zu sagen: „Mit Ordnungspolitik gewinnt man keine Wahlen.“ Quoten in Aufsichtsräten? Eine Spielart sozialistischer Gesellschaftspolitik, aber wenn man sie auf wenige Unternehmen begrenzt, kein Grund zum Koalitions-Krach... Grundsätze sind gut und schön, aber den großen Zoff spart man sich dann lieber für die richtig wichtigen Dinge auf.
Das Problem: So richtig wichtig war der Union eigentlich nie etwas. Selbst die noch von Alt-Kanzler Helmut Kohl versprochene Euro-Härte war am Ende zur Abfederung der Corona-Krise verhandelbar, Euro-Rettung und Gemeinschaftsschulden gehen somit maßgeblich auch auf das Konto der Union.
Mit anderen Worten: Es gibt für CDU/CSU heute viel Vertrauen zurückzugewinnen, und es ist deshalb auch nicht verwunderlich, wenn Wähler – ausweislich der Umfragen – die Union als eine Variante der Regierungspolitik sehen und nicht als das gewünschte Korrektiv, dem man den nötigen Politikwechsel zutraut.
Beim Thema Migration agiert die Union deshalb auch eher defensiv, weil nach der großen Zuwanderungswelle 2015/2016 die Glaubwürdigkeit für einen harten Konter gegen die Bundesregierung stark eingeschränkt ist. Wer aber eines der drängendsten Probleme der Zeit nicht offensiv auf die Agenda setzt, ist gerade für bürgerliche Wähler auch kein „Komplett-Angebot“.
Die Frage ist also, ob und was die Union aus der zurückliegenden Kanzlerschaft gelernt hat, wie verlässlich sie sein kann und will und welche Grundsätze sie künftig glaubwürdig vertreten kann. Manchmal kann auch eine lange Regierungszeit zur Hypothek werden.